E-Mail – der direkte persönliche Draht

Von Wolf-Dieter Roth

E-Mail hilft oft weiter, wenn selbst das Telefon versagt. Sie schafft und erhält persönliche Kontakte. Wenn sie auch ankommt, versteht sich.

Vor zehn Jahren waren Hobbynetze wie FIDO sowie der Online-Dienst Compuserve die ersten Möglichkeiten für den normalen Sterblichen, zu einer E-Mail-Adresse zu kommen – das Internet gab es nur an Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen.

Die E-Mailerei mit Compuserve war zunächst wenig erfolgreich: es gab im Verlag angesichts der hohen Kosten 1994 nur einen Gemeinschaftsaccount für die gesamte Redaktion. Auf dem lagen ständig fünfzig weitergeleitete Mails vom Chefredakteur X Zimmer 103 an Redakteur Z Zimmer 110. Diese relativ unwichtigen Notizen den weiten Weg über Modems und Telefonleitungen an ein System in Ohio USA zu schicken und von dort wieder abzuholen, war absurd. Aber hausinterne Mailsysteme gab es in jenen Tagen noch nicht.

Das Löschen seiner Mails vergaß Kollege Z meist, was die Übersicht in der Postbox nicht gerade verbesserte. Wenn er aber schon mal aufräumte, dann gründlich. Danach stand er dann immer nur mäßig geknickt mit Worten wie „Oh, da war eine wichtige E-Mail für Dich aus Amerika auf dem Redaktionsaccount – brauchst aber nicht mehr nachschauen, ich habe sie schon gelöscht“ im Türrahmen.

Daher wurde für wichtige Dinge stattdessen eine eigentlich nur als Hobby betriebene Mailbox benutzt, die Mistie in Unterschließheim. Sich mit dem Terminalprogramm dort einzuloggen, im Menü „Nachricht senden an...“ zu wählen und die Mail sowie die anzuhängende Datei einzugeben, das mag heute anachronistisch erscheinen – damals gehörte es zum Grundwissen, wenn man elektronisch kommunizieren wollte. Und das hatte Riesenvorteile: während die normale Papierpost stets erst vom Chefredakteur gesichtet und verteilt wurde, was manchmal über eine Woche dauerte und auch zu fehlgeleiteten Briefen führte, war die elektronische Post mit den Artikeln sofort da, wo sie hin sollte: im PC. Außenstehende konnten den Vorzug dieser Kommunikation damals gar nicht nachvollziehen.: meine E-Mail gehört mir, keiner kann sie mir verlegen oder wegnehmen!

Mailbox polizeilich beschlagnahmt

Von wegen! Am 13.6.1995 um viertel nach sieben war es vorbei mit der E-Mailerei. Fünf bayrische Polizeibeamte standen in Unterschleißheim bei der Mistie vor der Tür und nahmen alles mit: Rechner, Steckdosen, Modems. Nein, sie suchten nicht nach meinen E-Mails, sondern nach digitalen Pornos. Die fanden sie zwar nicht, aber mit der Mistie-BBS war es trotzdem vorbei: als der Besitzer sie nach vielen Monaten zurück bekam, hatte er durch den Ärger die Lust am Mailboxen verloren. Und natürlich waren meine noch nicht abgerufenen Mails auf der Mistie weg.

Eine höfliche Anfrage bei den Beamten in Grün, ob es denn eine Mailbox gäbe, die sie in Ruhe zu lassen gedänken, ergab nur die Auskunft „nein, die gibt es nicht, und das wäre ja Werbung“. Da half auch der Hinweis, dass FIDO-Mailboxen Hobbysysteme sind und nicht miteinander finanziell konkurrieren, nicht weiter. Ja, die Beamten machten auch klar, dass sie noch größere Dinge vorhatten: „Wir gehen ins Leibniz-Rechenzentrum an der Fachhochschule und nehmen das Internet mit“. Damit war klar: ein deutscher Anbieter kam nicht in Frage. Compuserve musste her: wenn die Polizei deren deutsche Knoten zumachen sollte, konnte man sich ja notfalls noch in Amerika oder London einwählen.

Ein halbes Jahr später war es tatsächlich so weit: Compuserve München bekam Polizeibesuch. Das Internet konnten die Beamten dort nicht auffinden, auch nicht unter dem Schreibtisch des Geschäftsführers, und auch keine Mailboxen. Nur jede Menge Modems, ein paar PCs des Kundendiensts und jede Menge Aktenordner. Von denen nahmen sie einige mit, um nicht ganz umsonst gekommen zu sein. Der Compuserve-Geschäftsführer landete später vor Gericht und etliche Newsgroups wurden abgeschaltet. Aber die E-Mail blieb diesmal unbehelligt.

Einige Jahre gab es von gelegentlichen Störungen abgesehen nun keine Probleme mehr und der Compuserve-Anschluss war Gold wert – beruflich wie privat. Beruflich konnte man wichtige Kontakte direkt erreichen, ohne dass der Brief erst durch fünf Hände ging und irgendwo liegen blieb. Und der private Freundeskreis wuchs ebenfalls immer weiter. Die Sache begann lediglich unübersichtlich zu werden, da alles auf diesem einen Account auflief, der nur maximal 100 E-Mails fassen konnte. Das war oft schon nach zwei Tagen erreicht.

Dann knipste ein amoklaufender Compuserve-Angestellter eben mal den Account aus – nichts ging mehr. Die Hotline konnte das nach drei Tagen beheben und erstaunlicherweise war dabei nichts verlorengegangen: das Postfach war voll wie eh’ und je. Trotzdem: das Vertrauen in den treuen digitalen Helfer war angeknackst. „Und überhaupt – wieso hast ausgerechnet Du noch keine eigene Domain, wo Du doch schon so lange dabei bist?“, meinte ein Bekannter. „Das gehört mittlerweile dazu – da hast Du eine kurze Webadresse und beliebig viele verschiedene E-Mail-Adressen“.

Eigene Domain – die gefährlichste E-Mail-Variante

Nun, ich war bislang auch ohne Domain ausgekommen und konnte den üblichen privaten Websites („das bin ich, das ist mein Auto, das ist mein Haus, das ist mein Hund und das ist meine Freundin nackt im Dunkeln“) auch nicht viel abgewinnen. Aber wenn schon, dann sollte es wenigstens professionell aussehen. Und das mit den E-Mail-Adressen war natürlich ein Argument. Auch wenn die sich dadurch von 102404.75@compuserve.com beispielsweise auf wolf@wdr.org (für privat) oder news@wdr.org (fürs Büro) änderten.

Die Website war tatsächlich professionell geworden. Zu professionell. Behörden und Versicherungen forderten mich auf, meine Angestellten anzumelden und wollten nicht glauben, dass es keine gab. Und schließlich verlangte der westdeutsche Rundfunk die Übergabe der Website und damit auch all der angeschlossenen E-Mail-Accounts innerhalb drei Tagen, weil die Verwendung meiner Initialen in der Internetadresse dem Ruf des Mäusesenders abträglich sei.

Um jede Menge Mäuse ging es dann auch, als ich um mehr Zeit bat und der Sender dies ablehnte. So blieben zwar statt den gewünschten drei Tagen drei Monate, um alle Kontakte über neue E-Mail-Adressen zu unterrichten. Dafür klagte der Sender allerdings vor Gericht auf eine halbe Million. Es wurden dann immer noch 40.000 Mark. Die Adresse dagegen, um die es eigentlich gegangen war, vergaßen die Kölner nach der Freigabe zu registrieren. Sie gehört nun einem Schweizer. Ob er noch ab und zu E-Mails bekommt, die eigentlich für mich gedacht waren? Ich weiß es nicht. Aber wenigstens landen sie nicht in Köln. Es gab immerhin doch so die eine oder andere private E-Mail, die man vielleicht nicht so gerne im Fernsehen gesehen hätte...